
05/03/19 · Interviews
Wir wollen den Bezug zu unseren Nahrungsmitteln wieder herstellen.
Vier Gründer*innen und die Idee, mit ihrem plastikfreien Lieferservice und Bildungsangebot einen Beitrag zu weniger Verpackungsmüll zu leisten. Zu dem Lieferservice hat Frankfurt mit ihnen sein erstes Zero-Waste-Cafe in Bockenheim.
gramm.genau sind:
Christine Müller: Operatives Management und Finanzen
Franziska Geese: Einkauf und Umweltbildung
Tamás Erdélyi: Infrastruktur und IT
Jenny Fuhrmann: Strategie und Öffentlichkeitsarbeit
Interview: Daniela Mahr, Oktober 2018, aktualisiert August 2019
Wenn wir als normale Konsument*innen im Supermarkt die mit viel Plastik verpackten Lebensmittel in den Einkaufswagen legen, sind uns die Auswirkungen meistens gar nicht bewusst.
Das ‚Warum‘ ist sehr wichtig und muss sowohl nach außen als auch nach innen klar kommuniziert werden. Das hilft einem, dabei zu bleiben und weiter an die Sache zu glauben. Bei mir persönlich war es der Moment, als ich im Meer surfen war und den ganzen Plastikmüll gesehen habe. Nach einem Sturm kam alles an den Strand, was man sich nur vorstellen kann: Zahnbürsten, Flip-Flops und vieles, was auch nicht mehr zu erkennen war. Wenn man das Meer liebt, dann möchte man, dass es dem Meer gut geht.
Bei Franzi war es vor allem der Bildungsaspekt. Sie arbeitet sehr gerne mit Kindern, hat Kunstpädagogik studiert und betreut bei uns vor allem den Bildungsteil. Ein entscheidender Moment war bei ihr, als ein Kind ein Huhn mit vier Beinen gezeichnet hat, weil es gar nicht mehr wusste, wie das Tier außerhalb des Tellers aussieht. Wir haben leider den Bezug zu unseren Lebensmitteln verloren und wissen gar nicht mehr, welche Wege und Geschichten dahinterstehen. Franzi möchte mit gramm.genau einen Ort des Austauschs schaffen, bei dem man den Bezug zu unseren Nahrungsmitteln wieder herstellen kann.
Jenny arbeitet schon länger in der Entwicklungszusammenarbeit. In Indien hat sie gesehen, wie die Bauern dort in total verdreckten Gewässern stehen und versuchen zu arbeiten. Unser Konsum hat direkten Einfluss auf die Lebensgrundlage dieser Menschen. Wenn man es direkt sieht und miterlebt, betrifft es einen einfach anders.
Bei Tamás ist es vor allem die Arbeit in einem Start Up mit nachhaltigen Themen, die ihn motiviert und antreibt.
Wenn wir als normale Konsumenten im Supermarkt die mit viel Plastik verpackten Lebensmittel in den Einkaufswagen legen, sind uns die Auswirkungen meistens gar nicht bewusst.
Diese Verbindung auf eine nicht zu nervige (lacht), sondern vielleicht sogar spannende und schöne Art wiederherzustellen; das ist der Punkt, der uns alle motiviert.
Wir
arbeiten ähnlich agil und beweglich wie andere Start-ups, sind immer in
Kontakt mit unseren Kunden und passen unser Modell ständig an. Wir
haben keine Angst davor, etwas Neues zu erschaffen. Sei es das
Pfandsystem, das wir verwenden, das Café, das wir gerade eröffnen oder
unser Einsatz in der Umweltbildung. Franzi geht an Schulen oder die
Schulklassen kommen zu gramm.genau und lassen sich über die Folgen des
Plastikmülls informieren.
Bei mir persönlich war es der Moment, als ich im Meer surfen war und den ganzen Plastikmüll gesehen habe.
2016 haben wir uns getroffen und kamen auf die Idee, dass wir einen Unverpackt-Laden in Frankfurt starten möchten. Wir haben uns mit dem Konzept beim Social Impact Lab Frankfurt beworben, wurden aber damals nicht ins Förderprogramm aufgenommen. Anschließend wurde ich beim Social Impact Lab eingestellt (lacht).
Zu
Beginn sind wir durch Deutschland getingelt und haben diejenigen
besucht, die es schon erfolgreich machen. Vor allem der Betreiber des Unverpackt-Ladens in Hannover
war sehr nett und hilfsbereit. Er hat sich zwei Stunden konzentriert
mit mir zusammengesetzt und viele wichtige Tipps gegeben. Als Nächstes
hielten wir in Google Drive und Trello Board
unsere Ideen und Erkenntnisse fest.
Nach einigen Monaten haben wir dann
endgültig beschlossen, dass wir es durchziehen. In wöchentlichen
Meetings haben wir dann die grundsätzlichen Fragen beschlossen: Wir
brauchen einen Standort. Wo soll der sein? Wir brauchen Produkte. Welche
wollen wir anbieten? Was benutzen wir privat, was brauchen und wollen
die Menschen? Welche Großlieferanten gibt es und wie machen es die
anderen? Und dann natürlich: Wie viel Geld brauchen wir in der
Anfangsphase und wie finanzieren wir unser Vorhaben? Zu Beginn kam
erstmal bei fast allen Punkten ein großes Fragezeichen auf.
Wir hatten das große Glück, dass wir die Besitzerin von „Main Gemüse“ kennenlernten und gramm.genau in ihren Betrieb integrieren konnten. Die erste finanzielle Frage konnten wir so lösen. Wir sind wirtschaftlich komplett getrennt. Wenn Kunden zu Main Gemüse gehen und unsere Produkte kaufen, verdient sie dabei. Wenn die Kunden heute in unserem Onlineshop bestellen, verdienen wir. Derzeit teilen wir uns noch ein Lager und kooperieren bei vielen anderen Dingen. Wir konnten in der Anfangsphase viele Dinge ausprobieren und haben dabei viel gelernt. Dafür sind wir „Main Gemüse“ sehr dankbar.
Nach unseren Erfahrungen im Laden hatten wir dann wieder den Wunsch nach Beratung und Weiterentwicklung. 2017 haben wir uns erneut mit der Idee des Onlineshops bei dem Programm „AndersGründer“ des Social Impact Labs beworben und wurden dieses Mal auch genommen. Das hat uns einen enormen Schub gegeben und wir konnten ein halbes Jahr später mit dem Shop online gehen.
Wir wollten einen Ort des Austausches schaffen. Aus der Idee wurde Frankfurts erstes Zero-Waste-Café mit Workshops und Lesungen.
Erfreulicherweise
wachsen wir. Anfang 2018 haben wir neben den Privatkunden auch den
ersten Geschäftskunden beliefert. Das bedeutete aber auch, dass wir ganz
neue Wege gehen mussten, denn im Lager von „Main Gemüse“ ist nur
begrenzt Platz. Zudem haben wir unsere Idee um ein zusätzliches
Geschäftsfeld erweitert.
Wir hatten die Idee, einen Ort des Austausches
schaffen, der genug Platz für unser Angebot, ein Café und unser Lager
bietet. Zum Glück haben wir dazu nach langem Suchen die passenden Räume
in Bockenheim gefunden. Aus der Idee wurde ein Zero-Waste-Café mit
Workshops und Lesungen. Dort bereitet eine eigens dafür eingestellte
Konditormeisterin leckeren Quiche und handgemachte Pralinen neben
anderen Verköstigungen zu.
Das
waren zwei Erkenntnisse, eine geschäftliche und eine persönliche. Zum
einen versuchen wir, sehr authentisch zu sein und offen zu
kommunizieren. Jenny und Franzi leisten Großartiges im Social Media
Bereich. Wir hatten eine Plastik-Fasten Kampagne,
die sehr gut angenommen wurde. Wenn man relevanten Content liefert,
dann finden das die Leute auch gut.
Wir haben in der kurzen Zeit aktive
3.500 Follower bei Facebook und 1000 bei Instagram gewonnen. Vor kurzem
waren wir bei RTL Hessen und erst gestern war das ZDF bei uns. Wenn man
mit dem Herzen dabei und authentisch ist, dann funktioniert die
Öffentlichkeitsarbeit fast wie von alleine. Das ist natürlich viel
Arbeit, aber es ist nicht mühsam. Die Menschen beteiligen sich, weil sie
sich als Teil des Ganzen fühlen. Das hatte ich in vorigen Start-ups
auch ganz anders erlebt. Mal war das Produkt nicht wirklich greifbar
oder es war eben nichts, was die Welt ein Stück besser macht und die
Leidenschaft der Menschen weckt.
Die persönliche Erkenntnis ist,
dass man sich auch als Start-up-Gründerin nicht zwangsläufig 24 Stunden
am Tag aufopfern muss und zu nichts anderem mehr kommt. Wir
kommunizieren im Team wirklich gut und stellen sicher, dass jeder von
uns auch das Recht auf Auszeiten hat. Wir brennen für die Idee, aber wir
bauen keinen Druck auf, der uns kaputt machen könnte. Ich bin sehr
dankbar, dass sich die richtigen Leute gefunden haben, denn so ist die
Arbeit unglaublich angenehm und man stemmt die Dinge viel lieber und
besser zusammen.
Die Menschen beteiligen sich, weil sie sich als Teil des Ganzen fühlen.
Wir
haben uns für die klassische GmbH entschieden, an der wir alle vier zu
gleichen Anteilen beteiligt sind. Gegründet haben wir am 2. August, dem
Earth Overshoot Day 2017. Dieser Tag markiert jedes Jahr den Zeitpunkt,
ab dem wir weltweit nicht mehr nachhaltig, sondern nur noch durch
Raubbau leben. Wir konnten anstoßen und sagen: „Wir tun etwas dagegen.“
Für die klassische GmbH haben wir uns entschieden, weil wir keine
wirklich andere Wahl hatten. Eine gemeinnützige GmbH würde bei uns nicht
funktionieren. Es gibt leider keine Rechtsform mit entsprechenden
Vorteilen für Sozialunternehmen. In den Paragrafen zur Gemeinnützigkeit
wird Umweltschutz zum Beispiel gar nicht aufgeführt. Wir sind auf dem
Papier gewinnorientiert, weil wir etwas verkaufen. Das hat durchaus
Nachteile. Wenn zum Beispiel Stiftungen Wettbewerbe und Gelder
ausschreiben, dann können wir zwar an alle Anforderungen einen Haken
setzen, uns aber aufgrund der Geschäftsform gar nicht darum bewerben.
Ein
Teil von uns ja. Franzi und Jenny wurden gerade als erste fest
eingestellt, Jenny als Geschäftsführerin. Wir anderen beiden arbeiten
vorerst noch nebenbei an dem Projekt. Das bedeutet natürlich, dass wir
weniger Zeit dafür haben. Franzi und Jenny sind zu Beginn das Kernteam.
Danach sehen wir Schritt für Schritt weiter.
Uns
fehlt in Deutschland noch das Verständnis dafür, dass man gleichzeitig
Gutes für Gesellschaft und Umwelt tun und Geld verdienen kann. Es ist
natürlich schön, wenn Menschen sich ehrenamtlich für eine Sache
aufopfern. Manchmal gibt es auch kein Geschäftsmodell, mit dem Geld für
die Bezahlung der Tätigkeit verdient werden könnte. Aber es sollte auf
jeden Fall möglich sein, dass man etwas Gutes tun und damit Geld
verdienen kann.
Aktuell muss man dafür sehr kreativ sein und nach
Stiftungen oder Unternehmen suchen, die das Vorhaben interessiert. Das
ganze System neu zu denken wäre natürlich auch toll, aber das ist dann
schon etwas anspruchsvoller (lacht). Warum soll ich mich so sehr
einschränken, was meine Lebenshaltungskosten, Rücklagen etc. betrifft,
nur weil ich etwas Gutes für die Gesellschaft tun möchte? Da läuft etwas
grundsätzlich falsch.
Zum anderen ist es auch nur mit einer entsprechenden Bezahlung möglich, seine Zeit dem Projekt zu widmen. Wir könnten aktuell schon viel weiter sein, wenn alle vier von uns jetzt schon Vollzeit bei gramm.genau arbeiten könnten. Und es ist ein Motivator. Natürlich ist es schön zu wissen, dass durch meine Arbeit weniger Plastik im Meer landet. Aber ich möchte auch, dass meine Tätigkeit anerkannt und entlohnt wird.
Uns fehlt in Deutschland noch das Verständnis dafür, dass man gleichzeitig Gutes für Gesellschaft und Umwelt tun und Geld verdienen kann.
Wenn Menschen bei gemeinnützigen Vereinen wie Save The Children Geld für ihre Arbeit bekommen, stößt man häufig auf Verwunderung oder sogar Ablehnung. Aber auch sie müssen Geld in Werbung investieren, damit die Sache bekannt wird oder Bürokräfte einstellen, die regelmäßig ans Telefon gehen. Nicht zuletzt müssen die Projekte professionell durchgeführt werden. Selbstverständlich haben diese Menschen ebenso eine gute und faire Bezahlung verdient.
Ich würde Gebäude energieeffizienter gestalten und mehr Fahrradwege ermöglichen. Wenn ich Schnippen könnte, wären alle öffentlichen Plätze in Frankfurt wesentlich grüner. Und ich würde versuchen, Anreize zu schaffen, die dazu führen, dass man mehr öffentliche Verkehrsmittel benutzt. So wäre das Stadtleben sehr viel lebenswerter.
Ich würde mir auf jeden Fall einen Pitch im Social Impact Lab anschauen. Dann würde ich bei Labl Frankfurt nachsehen, was es dort für Neuigkeiten zum Thema Nachhaltigkeit gibt. Hier kann man auch sehen, welche coolen Unternehmen es in Frankfurt gibt. Dann würde ich zum Transition Town Treffen gehen und schauen, was dort gerade passiert. Dazwischen unbedingt bei gramm.genau bestellen. Zum Schluss würde ich mich an den Main setzen und bei einem Äppler das Leben genießen.
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