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Susanne Wagenbach über ihren Weg zu dem Upcycling-Möbel-Laden Klotz und Quer und dem Co-Making

Co-Making ist ein Zusammenspiel aus Erfahrungsaustausch, tollen (wirklich) eigenen Möbeln und dem Experiment eines neuen Wirtschaftskonzepts.

Susanne Wagenbach (Sue) hat ihren Job als Luft- und Raumfahrtingenieurin an den Nagel gehängt, um etwas Neues zu starten. Selbst anpacken ist nicht nur das Leitmotiv ihres ganz besonderen Upcycling-Möbel-Ladens, bei dem die Menschen ihre Möbel mitgestalten können. Es ist vielmehr eine Metapher für unsere Zeit und ein innovativer Weg zu mehr Lebensqualität, Selbstbestimmung, Achtsamkeit und nachhaltigem Wirtschaften.

Interview: Daniela Mahr, Februar 2019
Foto: Susanne Wagenbach


Damals war Arbeit nur Arbeit. Heute mit Klotz und Quer ist das, was ich mache, ein Teil meines Lebens.

Was hast Du gemacht, bevor Du mit Klotz und Quer gestartet hast?

Davor habe ich etwas ganz anderes gemacht. Ich habe als Luft- und Raumfahrtingenieurin an robotischen interplanetarischen Missionen in einem Systemintegrationshaus in Bremen gearbeitet.

Das klingt doch spannend. Warum kamst Du dann auf die Idee, Dich mit etwas ganz anderem selbstständig zu machen?

Nach 5 Jahren merkte ich, dass es mir an Lebensqualität fehlte. Der Job war unglaublich interessant und ich habe ihn aufgrund meines persönlichen technischen Ehrgeizes gewählt und ausgeübt. Auf die Dauer war es aber nicht befriedigend. Im Jahr 2012, mit 32, traf ich dann die Entscheidung, etwas anderes für mich zu suchen. Ich wollte meine Zeit mit etwas verbringen, dass mich und mein Umfeld mehr verändert und bewegt. Das wundert sicher einige, weil es sicher ein spannendes Feld ist, indem ich gearbeitet habe. Aber mir hat ganz einfach die Zeit für mich und meine Freunde gefehlt. Ich hatte regulär 10-Stunden-Tage, bin in der ganzen Welt herumgeflogen und hatte einfach keine Zeit zu leben. Auf Geburtstagskarten von mir waren prinzipiell nur meine Unterschrift und ein Gutschein. Einen richtigen Freundeskreis konnte ich mir in Bremen nie aufbauen. Dazu kommt, dass die Arbeit damals nur Arbeit für mich war. Heute mit Klotz und Quer ist das, was ich mache, ein Teil meines Lebens.

Wie hat sich Dein „Starten“ dann gestaltet?

Ursprünglich komme ich aus Nierstein, das ist in der Mainzer Ecke. Zur Selbständigkeit zog ich wieder in meine alte Gegend, weil ich hier das größere Netzwerk hatte.
Ich habe eine Weile danach gesucht, was zu mir passen könnte. Am Anfang wollte ich in den Bereich Gastronomie gehen, weil ich mich darüber ärgerte, dass es keinen gesunden Mittagstisch in der Stadt gab. Bei den Weintagen hatte ich einen Stand, an dem ich selbstgemachte Cocktails verkaufte. Die Möbel für den Stand habe ich aus Paletten selbst gebaut. Dafür habe ich mir in einem Lager in der Mainzer Neustadt eine kleine Ecke gemietet. Ich wurde kurz danach Hauptmieterin und habe das Lager in eine Werkstatt umgebaut und Untermieter aufgenommen. Einer der Untermieter war mein zukünftiger Mitgründer, Alexander Martens. Wir lernten uns kennen, als ich an der Werkstatt eine alte Kiste vor die Tür stellte, die ich immer selbst upcyceln wollte, es aber nie geschafft habe. Alex hat sie gefunden und dann ein richtig cooles Teil daraus gemacht. So war direkt die Verbindung da, wobei er viel erfahrener darin war als ich zu der Zeit.
Als er mit in die Werkstatt zog, war der Laden noch kein Thema. Weil ich aber für meine vorige Gastro-Idee schon so viele Läden angeschaut hatte und die Leute wussten, dass ich auf der Suche bin, wurde mir zugetragen, dass der Laden, in dem wir heute sind, bald leer stehen würde. Wir dachten uns: „Die Lage ist großartig, der Laden ist großartig… das ist die Chance.“ Allerdings hatten wir zu der Zeit noch keine Produkte, nur eine Werkstatt. Wir wollten aber nicht den Rest unseres Lebens alleine in der Werkstatt stehen. So kamen wir darauf, unsere handwerklichen Fähigkeiten an Interessierte weiterzugeben. So ist die Idee mit dem Co-Making in der Werkstatt gewachsen.

Das Co-Making ist ein Zusammenspiel aus Erfahrungsaustausch, tollen (wirklich) eigenen Möbeln und dem Experiment eines neuen Wirtschaftskonzepts.


Was versteht Ihr genau unter Co-Making?

Das Co-Making beinhaltet, dass man sich bei uns einmieten und mitarbeiten kann. Wenn man zum Beispiel den eigenen Tisch mit uns anfertigt, lernt man etwas, hat tolle Erfahrungen gemacht und spart am Ende auch Geld. Wir bieten auch viele Workshops an. Du kannst aber auch einfach mit Deinen eigenen Möbeln zu uns kommen und sie aufarbeiten oder zum Beispiel mit dem Wunsch zu uns kommen, eine Schrankwand aus bestimmten Materialien anzufertigen. Wir besorgen die Materialien und helfen bei der Anfertigung Deiner eigenen Schrankwand. Auch absolute Anfänger können zu uns kommen. Wir sehen uns als die Schnittstelle zwischen Profi und Endkunden.
Mit der Zeit wurde uns immer mehr klar, dass unsere Idee nicht nur eine schöne Sache für unsere Kunden ist, sondern auch ein besonderer Ansatz für die Entwicklung von nachhaltigem Wirtschaften dahintersteckt. Wir wollen den Geldfluss insgesamt stark reduzieren und immer mehr in Richtung Austausch und gemeinschaftliches Arbeiten gehen. Denn umso mehr Geld fließt, desto mehr Hände sind daran beteiligt und desto mehr wird innerhalb des Machtgefüges im Hintergrund manipuliert. Wenn wir den gleichen Umsatz an Möbel-Kunden haben, müssten wir normalerweise jemanden fest anstellen, der auch bezahlt werden muss, wenn wir mal wenig Umsatz machen. Wir hätten eine hohe Kapitalbindung. Diesen Arbeitsanteil legen wir mit dem Co-Making-Konzept auf unsere Kunden um, sie können mitarbeiten, dafür müssen wir weniger Personal anstellen. Die Kunden selbst haben Quality-Time und echte Erfahrungen gewonnen. Theoretisch müssen sie selbst sogar auch weniger arbeiten, weil sie ja weniger für das Möbelstück zahlen müssen, als hätten sie es fertig gekauft. Es steckt also tatsächlich ein neues Wirtschaftskonzept dahinter, mit dem wir hier experimentieren.

Mit dem tollen Konzept war der Weg von der Werkstatt zum Laden nicht weit...

Ja, wir hatten zwar noch nicht viel, das wir ausstellen konnten, aber das störte uns nicht. Wir haben einfach die Workshops mit in den Laden genommen. Dort haben wir dann auch Workshops angeboten, die nicht so handwerklich, sondern eher DIY mit Papieren und Stoffen waren. Kombiniert haben wir das mit Ausstellungen, die wir zu uns eingeladen haben.
Mit der Zeit hat sich das Konzept immer weiterentwickelt. Inzwischen ist mein Mitgründer ausgestiegen, weil er sich nicht traute, Vollzeit in die Selbständigkeit zu gehen. Zu Beginn war das finanziell auch durchaus kritisch für mich. Auch wegen verschiedener persönlicher Faktoren, die dazu kamen wie Krebs, Trennung und einem Kleinkind. Aber dann habe ich alleine weitergemacht.

Wie kam es dann zur heutigen Laden-WG?

Ich habe den Laden einen Monat untervermietet und mir Urlaub gegönnt. Danach stand ich im leeren Raum und kam gar nicht dazu, alles an Kommissionsware einzuräumen, weil ich so viel Auftragsarbeit zu erledigen hatte. In diesem Moment entstand die Idee, eine Laden-WG zu eröffnen. Die Idee habe ich in meinem Netzwerk gestreut und so hat Judith Drewke von Jas Slow Fashion davon gehört. Wir hätten schon viel früher auf die Idee kommen können, weil wir uns so großartig ergänzen. Judith bringt ja auch neben ihrer Mode ganz viel Marketingerfahrung mit. Neben Judith sind die Jungs von Jeckybeng bei mir eingezogen. Sie haben ebenfalls sowohl Marketing- als auch handwerkliche Erfahrung und können die Werkstatt mitnutzen. Ich selbst konzentriere mich auf meine Möbel und stelle ein paar besondere Stücke im Laden aus.

Meine wichtigste Lernerfahrung war damit umzugehen, wie immer wieder neue Menschen in mein Konzept ein- und austreten.

Was würdest Du sagen, war bei Deinem spannenden Prozess, die größte Lernerfahrung?

Meine wichtigste Lernerfahrung war damit umzugehen, wie immer wieder neue Menschen in mein Konzept ein- und austreten. Das fand ich am Anfang besonders schwierig. Die ersten Male habe ich es vermutlich persönlich genommen und dachte Dinge wie, dass die Person nicht mehr an die Idee glaubt oder vielleicht menschlich etwas schiefgelaufen ist. Mit der Zeit lernte ich dann aber, dass ein Wandel ganz natürlich ist. Es ist nun mal so, dass es meine Idee ist und ich das Zugpferd bin. Daran sind die Menschen eine Weile interessiert und entwickeln sich dann vielleicht in eine andere Richtung. Mittlerweile habe ich eine Art Urvertrauen entwickelt, dass es immer weiter geht. Seit der Gründung des Ladens habe ich das Gefühl, dass ich viel mehr im Einklang mit mir und meinem persönlichen Weg bin. Die Dinge kommen auf eine natürliche Art und Weise zu mir.

Gab es Projekte oder Menschen, die Dich besonders inspiriert haben?

Ja, als erstes natürlich mein Gründungspartner Alexander Martens, der unglaublich viel kreative Energie mitgebracht hat. Im Anschluss habe ich einen Zimmerermeister fest angestellt, der mit 27 schon seinen Meister hatte und Vater war. Er ist ein großartiger Mensch, der mich mit seiner positiven und zuverlässigen Grundeinstellung, die immer auf gemeinschaftliche Lösungen ausgerichtet ist, unglaublich inspiriert hat. Die dritte Person ist Anne Meytzeich, die aktuell im M1 arbeitet. Sie hat eine Weile bei uns mitgearbeitet und mich in der Zeit sehr inspiriert, denn sie hat die Fähigkeit, sich in die Probleme anderer Menschen reinzudenken und beim Lösen zu helfen.

Wir wollen dabei helfen, dass sich Menschen wieder mehr selbst zutrauen und sich beteiligen.

Wie ist Deine Erfahrung mit der Finanzierung von nachhaltigen Produkten wie Deinen Möbeln? Kommt Ihr in Erklärungsnot und erhaltet Fragen wie „es ist doch recycelt, wieso kostet es dann mehr als etwas von der Stange?“

Da wir ein Produkt anbieten und uns von Anfang an kommerziell aufgestellt haben, erwartet man zum Glück nicht, dass wir unsere Dienste ganz kostenlos anbieten (lacht), aber wir hören oft, dass wir zu teuer sind. Wir müssen hier sehr viel Aufklärungsarbeit leisten und transparent sein. Als Teil davon erklären wir den Unterschied von unserer Arbeitsweise zu etwa Ikea, die mit riesigen Fertigungsfabrikhallen, Plattenmaterial, plastikbeschichteter Pressspan, das mit CMS und Computertechnologie einfach im Zuschnitt ist, arbeiten. Dahingegen suchen wir z. B. bei insolventen Bauunternehmern oder alten Lagerflächen unser Rohmaterial, sammeln es ein und suchen unter Bergen das passende heraus. Es ist einfach unglaublich viel Arbeit, die hinter dem Recycling- und Upcyclingprozess steckt. Die Sachen müssen ja von uns aufbereitet werden, da stecken noch alte Nägel drin, sie müssen gereinigt werden, zugeschnitten, bearbeitet und vier Monate gelagert werden, damit sie trocknen. Der Lagerplatz und die Utensilien kosten natürlich auch Geld. Zudem leisten wir einen Beitrag, indem wir die handwerklichen Skills vermitteln und übergeben nicht nur ein fertiges Produkt aus neuen Materialien. Wenn den Menschen gefällt, was wir machen und sie daran teilhaben möchten, dann müssen sie dafür etwas bezahlen. Viele haben auch ein verdrehtes Konsumverhalten, weil sie einfach blind für manche Dinge sind. Die Menschen sind moralisch gar nicht so falsch aufgestellt, sie sind einfach nur sehr gut in der Lage, Dinge auszublenden. Darüber zu berichten ist Teil der Aufklärungsarbeit unseres allgemeinen Verarbeitungssystems.

Ihr leistet mit Eurer Arbeit wirklich Aufklärungsarbeit auf verschiedenen Ebenen.

Ja, Ziel unserer Arbeit ist es auch, unser Viertel aufzuwerten und die Menschen zu empowern, damit wir wegkommen von dem Denken „darum muss sich doch die Stadt oder die Institutionen kümmern“ zu „lasst es uns selbst anpacken.“ Wir wollen dabei helfen, dass sich Menschen wieder mehr selbst zutrauen und sich beteiligen. Wir erreichen mittlerweile auch Interessenten aus ganz verschiedenen Bereichen. Anfang des Jahres war ich im Antoniushaus in Wiesbaden. Das ist ein Internat für leicht- bis schwerbehinderte junge Menschen. Ich wurde angefragt, bei einer Veranstaltung mitzuwirken, bei der es 8–10 verschiedene Workshops gab, an denen insgesamt fast 80 Kinder teilnahmen. Es gab Graffiti, Rappen und mit mir konnten sie mit Beton bauen. Der Kontakt mit den Menschen und die Wissensvermittlung auf den verschiedenen Ebenen ist das, was mich bei meiner Arbeit am meisten erfüllt.

Mainz hängt ganz schön mit dem Ausbau von Fahrradwegen hinterher.

Wenn Du die Zukunft von Mainz bestimmen könntest, was würdest Du sofort anpacken?

Die Luftqualität und Mobilität ist ein großes Anliegen von mir. Alle könnten ja wunderbar mit dem Fahrrad fahren und in Zeiten von Elektrofahrrädern können das selbst die unsportlichsten Menschen. Doch Mainz hängt ganz schön mit dem Ausbau von Fahrradwegen hinterher. Wenn ich da im Vergleich an Offenbach denke: Hier sind richtige Fahrradautobahnen geplant. Sie wollen die komplette Stadt mit Fahrradwegen neu erschließen und teilweise ganze Straßenspuren dafür opfern. Auch was Elektromobilität betrifft, scheint Mainz sehr spät dran zu sein. An der Stelle wurde so viel verpasst. Hier würde ich ansetzen.

Welche Menschen oder Projekte sollte man in Mainz nicht übersehen?

Was Anne Meytzeich aus dem M1 an Veranstaltungen macht, ist sehr spannend. Im M1 trifft man kreative Köpfe und kann gut in die Szene reinschnuppern. In September hat das me and all-Hotel eröffnet. Das ist eine junge Kette und Mainz ist einer ihrer neuesten Standorte. Sie verstehen sich nicht nur als Hotel, sondern als Kulturstätte und Treffpunkt für junge Local-Heroes, die ihre Räumlichkeiten auch als Veranstaltungsort nutzen können. Rundum ein sehr innovatives Konzept. Da werden coole Events stattfinden. Felix Blum hat Peacefood ins Leben gerufen. Alles, was die Pflanze hergibt, wird in seinem Essen verwertet. Es gibt eine tolle Asthanga Yoga Schule mit zwei sehr erfahrenen Lehrern, einfach mal Ashtanga-Yoga-Mainz googlen. In Mainz passiert mittlerweile immer mehr und so langsam stellen sich auch die Ämter hinter die Konzepte.

Wir sollten alle einfach öfter innehalten und überlegen, was wir denn wirklich brauchen.

Wenn Du einen Tipp an die Menschen loswerden darfst, welcher ist das?

Leute, hört auf, immer neue Sachen zu kaufen. Geht lieber in euren Keller und schaut, was ihr dort habt und daraus machen könnt. Fragt euch, ob es wirklich das neue shiny-Plastik-Teil sein muss oder ob ihr nicht etwas anderes und viel besseres als Regal für eure Wand findet und damit sogar mehr Spaß habt. Wenn ich mir vorstelle, wie viele Dinge in den Kellern dieser Stadt liegen. Dort liegen Rohstoffe, die knapp werden und die hohe Energiekosten bei ihrer Herstellung hatten. Hier wünsche ich mir eine größere Aufmerksamkeit. Das Glücksgefühl beim Neukauf hält ohnehin nur sehr kurz an und wird durch aufwendige Marketing-Kampagnen ausgelöst, von Leuten, die dafür bezahlt werden, bei uns künstliche Bedürfnisse zu wecken. Wir sollten alle einfach öfter innehalten und überlegen, was wir denn wirklich brauchen.

Susanne Wagenbach auf reflecta.network

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