Reflecta

Beatrice und Matthias Schenk über die Erschaffung eines einzigartigen "Erfahrungsfeldes der Sinne".

Mit dem Erfahrungsfeld der Sinne wollen wir zeigen, dass jeder Mensch ein Künstler ist.

Beatrice Dastis-Schenk und Matthias Schenk schufen das „Erfahungsfeld zur Entfaltung der Sinne“ im Schloss Freudenberg.

Das Schloss Freudenberg ist kein Schloss im eigentlichen Sinne, sondern wurde 1904 vom Architekten Paul Schultze-Naumburg als repräsentative Villa inmitten eines Parks errichtet.

1993 übernahm die Gesellschaft Natur & Kunst gemeinnütziger e.V. aufgrund einer Initiative von Matthias Schenk und Beatrice Dastis Schenk, zusammen mit einer Gruppe von Künstlern, Handwerkerinnen und Pädagoginnen das Schloss sowie den Park. Unter dem Leitmotiv Sanierung = Heilung durch Kunst und Kultur wurde das erste Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne und des Denkens gegründet.

Die Entwicklung der künstlerischen Aktivitäten bezieht sich auf das Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne von Hugo Kükelhaus, welches mit 160 Stationen, Instrumenten und Versuchen bestückt ist. Es ist eine Art „Labor“, in dem alle experimentieren können. Die Menschen begeben sich bewusst auf eine Entdeckungsreise der eigenen Wahrnehmungsfähigkeiten mit allen Sinnen. Diese permanente Ausstellung wird von den Begründern des Vereins als Gesamtkunstwerk bezeichnet, im Sinne der Sozialen Plastik von Joseph Beuys und finanziert sich selbst durch Eintrittsgelder, Tagungen, Seminare und Kulturveranstaltungen.

Interview: Daniela Mahr, November 2018
Foto: Familie Schenk

Wie war der Weg zu eurer besonderen Lebens- und Schaffensweise? Was war die Motivation dahinter?


Matthias
Die Einsicht kam uns als Kindergartenkinder im Südschwarzwald und in Marburg: Es geht nur mit der Kunst. Jeder Mensch ist ein Künstler, jede Person eine Unternehmerin ihres Lebens.

Beatrice entdeckte, dass wenn sie nichts mehr sagen konnte oder nicht gehört werden mochte, anfing auf ihrer Blockflöte zu spielen. Und so wurde sie die Flötenkönigin(!) im Waldorfkindergarten.

Ich stellte für mich fest: Wenn das Zeichenblatt zu klein ist, dann male ich mit Kreide auf der Straße. Und was braucht es für solche Erkenntnisse? Gegenwärtigkeit, Geistesgegenwärtigkeit, Aufmerksamkeit. Kurz gesagt, die Entfaltung der Sinne und des Denkens.

Beatrice
„Mit allen Sinnen leben“ war das Ursprungsmotiv. Die Sinne sind das Tor zur Welt. Die Sinne sind das Werkzeug, die Brücke zwischen der Außenwelt und meiner Innenwelt.

Wie im Spruch am Tempel zu Delphi:
„Mensch, werde der Du bist.
Mensch, erkenne dich selbst.
Mensch: Sei!“

Alles, was es braucht ist: Gegenwärtigkeit, Geistesgegenwärtigkeit, Aufmerksamkeit.


Mit welchen Startschwierigkeiten saht ihr euch konfrontiert und wie seid ihr damit umgegangen?

Matthias

Träumen, denken, handeln - diese drei Schritte sollten nicht durcheinandergebracht werden.

Jede Person braucht Raum, Zeit und Aufmerksamkeit, um ein Projekt anzugehen. Wenn dabei die Frage „Was bringt das?“ zu früh oder die Frage „Und was hat das mit unserer Idee zu tun?“ zu spät gestellt wird, dann erlahmen die Kräfte. Die richtige Gliederung der Idee, Wirtschaftlichkeit, Organisation, der Art und Weise der Zusammenarbeit sowie der Gesprächskultur, das ist bis heute unser Experiment.

Es ist schon ein kleines Wunder, dass derzeit über 80 MitgestalterInnen täglich auf den Freudenberg steigen, und wir zusammen daran arbeiten.

Dabei hinterfragen wir, ob die Angestellten für das Unternehmen oder die Unternehmen für die Angestellten da sind bzw. die Kundenschaft für das Unternehmen oder die Unternehmen für die Kundschaft da sind. Beatrice stellt uns diese Fragen, auch gerne in „unpassenden“ Momenten.

Beatrice

Aus dem Unmöglichen etwas Mögliches zu machen! Das Gefühl zu haben, es nicht zu schaffen, hat viele Mitwirkende schlichtweg überfordert, und sie mussten abbrechen. Es war vor 20 Jahren auch die Schwierigkeit, überhaupt über die Sinne zu sprechen. Das war noch etwas sehr Exotisches, Unbekanntes und wurde in die Esoterikecke geschoben.

Heute ist die Wahrnehmungsthematik zu einer Tatsache geworden, zu einem Sachverhalt, zu einer wissenschaftlichen Forschungsfrage. Der Umgang mit Anfeindungen oder skeptischen Personen war Beharrlichkeit und Ausdauer, immer auf dem eigenen Weg zu bleiben, die Quelle und das Ziel, nicht aus den Augen zu verlieren.

Was ich heute säe, kann in den nächsten 300 Jahren wachsen und zum Blühen kommen.


Was bedeutet Nachhaltigkeit für euch?

Es gibt den Baum des Lebens, den Baum der Erkenntnis und den Narrenbaum. Nachhaltig ist, wenn ich meinem „roten Faden“ treu bleibe. Ich muss den Grund für meinen Aufritt auf diesem Planeten herausfinden, mein Tun und Handeln hinterfragen: Wie und was mache ich? Hat es Schönheit, Kraft, Wahrheit? Dabei sollte ich aber nie den Humor, das Sich-Verkleiden und Sich-Maskieren aus dem Auge verlieren.

Es ist doch immer ein wenig lächerlich, wenn man was Neues anfängt. Das gehört dazu. Ich sage: Dranbleiben und nach dem fünften Mal sieht’s schon anders aus.

Was ich heute säe, kann in den nächsten 300 Jahren wachsen und zum Blühen kommen. Es ist das Wirken im Kleinen, im Feinstofflichen. Es ist der Versuch, an der Bewusstwerdung zu schaffen. Frei nach dem Motto "Mensch werde dir bewusst, du bist nur ein Pilger auf dieser Erde. Und du bist der Mitgestalter, der Mitverantwortliche für den Erhalt dieses Planeten."

Was ist euer Lieblingsort in Wiesbaden?

Das ist ein „Quellenweg“. Man startet am Wisi badi (Kochbrunnen), geht weiter zur Quelle hinterm „Schwarzen Bock“ und von dort in die ehemalige Badeabteilung. Anschließend noch ein kleiner Schlenker in die Eingangshalle des Kaiser-Friedrich-Bades und zum Schluss in den „Muschelsaal“ des Kurhauses. Dort habe ich das Wort „grotesk“ entdeckt. Hier wurde eine „Grotte“ gebaut, obwohl es weit und breit kein Gebirge gibt.

Wir gehen außerdem gerne ins Kino Caligari, denn in letzter Zeit werden hier sehr gute aktuelle Filme gezeigt, die aufrütteln und berühren.

Die Stadt Wiesbaden scheint stark verunsichert in ihrer Identität.


Wie seht ihr die aktuelle gesellschaftliche Situation? Was läuft schief, was gibt Hoffnung?

Es wäre schön, wenn Einkommen und Arbeit unabhängig voneinander funktionieren würden und die Menschen sich an das Abenteuer „Bedingungsloses Grundeinkommen“ wagen würden.

Des Weiteren wünschen wir uns die Volksabstimmung, um die Demokratie in Deutschland zu festigen.

Wir sollten aufhören, Kindergärten, Schulen, Universitäten, Museen, Theater, die Künste, Krankenhäuser oder die Landwirtschaft als Wirtschaftsunternehmen oder Profit-Center zu behandeln.

Viel wichtiger ist es, die individuellen Talente und Bedürfnisse zu erkennen und zu fördern.
Einerseits wollen die Menschen mitreden, andererseits geben viele nur allzu gerne die Verantwortung ab und überlassen anderen die Entscheidung und Konsequenzen.

Und in Bezug auf Wiesbaden?

Wir entdecken die FLUXUS-Kunst, die ja aus Wiesbaden stammt, als Quelle und Methode für Kulturschaffende.

Wiesbaden muss sich die Frage stellen, welchen Wert Kultur- und Bildungsarbeit wirklich hat. Besonders für die freien Kulturschaffenden in ihrer ganzen Vielfalt.

Hier stellt sich die Frage nach echtem Interesse an einem Dialog zwischen der Politik und Kultur. Die Stadt erscheint stark verunsichert in ihrer Identität. Deswegen ist es wichtig, nicht zu vergessen, wie wir uns der Welt als Landeshauptstadt von Hessen präsentieren möchten.

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