Reflecta

co.hilo – Kaffee als Verbindung für sozialen Wandel und Nachhaltigkeit

Das Leipziger Kaffee-Kollektiv co.hilo verbindet ökologische Verantwortung, soziale Gerechtigkeit und transparente Handelsbeziehungen. Gemeinsam mit kolumbianischen Produzent:innen arbeitet die Genossenschaft nicht nur daran, hochwertigen Spezialitätenkaffee anzubieten, sondern setzt auf langfristige, partnerschaftliche Zusammenarbeit und innovative Modelle wie ein Grundeinkommensystem für die Produzent:innen. Im Interview spricht einer der Gründer:innen Tiago Cunico Volpato über die Vision hinter co.hilo, Herausforderungen im nachhaltigen Handel und darüber, was Impact-Gründer:innen auf ihrem Weg lernen können.

Wir verstehen Kaffee nicht nur als Produkt, sondern als Verbindung – zwischen Produzent:innen und Konsument:innen, zwischen sozialem Wandel und ökologischer Verantwortung.


Hallo Tiago, schön, dass du Teil der Reflecta Community bist! Erzähl uns: Was genau ist co.hilo, und was macht ihr anders als andere Kaffeeröstereien?

co.hilo ist eine Genossenschaft aus Leipzig, die nachhaltigen Kaffeehandel neu denkt. Gemeinsam mit der Familie Giraldo in Jardín (Kolumbien) schaffen wir durch unser monatliches Grundeinkommensystem wirtschaftliche Stabilität und fördern den Übergang zur regenerativen Landwirtschaft. Unsere Kund:innen in Deutschland erhalten im Gegenzug hochwertigen, rückverfolgbaren Spezialitätenkaffee. Was uns unterscheidet: Statt auf Gewinnmaximierung setzen wir auf Partnerschaft, Transparenz und Bildung. Wir verstehen Kaffee nicht nur als Produkt, sondern als Verbindung – zwischen Produzent:innen und Konsument:innen, zwischen sozialem Wandel und ökologischer Verantwortung.


Welche persönliche Motivation steckt hinter deinem Engagement, und warum hast du co.hilo gegründet?

Ich bin Designer mit Leidenschaft für sinnvolle Gestaltung – nicht nur von Produkten, sondern auch von Systemen. Martín Rojas, ein Ingenieur aus Medellín, war mein Wegbegleiter auf dem Pfad des systemischen Denkens. Mit ihm habe ich gelernt, soziale, wirtschaftliche und ökologische Zusammenhänge ganzheitlich zu betrachten. Mit seiner Begeisterung für nachhaltige Systeme gründete Martín 2019 co.hilo (damals „Hilo“), und ich war einer von vielen Menschen, die er mit seiner Vision inspirierte. Das Ziel des Projektes war das Bildungsprojekt „Jardín Municipio Lector“ seiner Tanten Marta Rojas und Patricia Arroyave durch Kaffeeverkäufe in Deutschland zu finanzieren – und die Lebensbedingungen der Kaffeebauer:innen zu verbessern. Im Oktober 2022 verstarb Martín auf tragische Weise bei einem Unfall. Sein Tod war für alle im Team eine emotionale Herausforderung, aber wir entschieden uns, durch die Gründung der Genossenschaft im Februar 2023 seine Vision weiterzuführen. Heute sind wir vier Personen im Kernteam: Philipp Walter, Denise Kemenater, Thomas Marufke und ich.


Die Genossenschaft ist für uns ein Ausdruck unserer Werte.Gewinne fließen nicht an einzelne Investor:innen, sondern an den gemeinsamen Zweck.

Genossenschaft als nachhaltiges Geschäftsmodell

co.hilo ist eine Kaffeegenossenschaft. Warum habt ihr euch für diese Unternehmensform entschieden, und welche Vorteile entstehen dadurch für euch und eure Mitglieder?

Die Genossenschaft ist für uns ein Ausdruck unserer Werte. Wir haben lange darüber diskutiert, was die beste Rechtsform für ein Impact Unternehmen wäre. Wir wollten ein Modell schaffen, das wirtschaftliche Teilhabe ermöglicht, Entscheidungen demokratisch trifft und die Interessen aller Beteiligten – von Produzent:innen bis Konsument:innen – miteinander verbindet. Unsere Mitglieder können sich aktiv einbringen, mitbestimmen und gestalten. Gleichzeitig fördert das Modell Vertrauen und Transparenz: Gewinne fließen nicht an einzelne Investor:innen, sondern an den gemeinsamen Zweck.

Wer sind eure Produzent:innen, und wie gestaltet ihr konkret eure Zusammenarbeit mit ihnen?

Unsere Hauptpartner:innen sind die Mitglieder der Familie Giraldo in Jardín, Antioquia, Kolumbien – eine mehrgenerationale Familie mit langer Kaffeetradition: Don Andrés, der Großvater, Robinson, sein Sohn, der die Finca bewirtschaftet, Patricia, Robinsons Frau, verantwortlich für die Care-Arbeit, und Camilo, Robinsons ältester Sohn, der die Leidenschaft für Kaffeeproduktion weiterträgt. Anderson und Isabella, die jüngeren Kinder, gehen noch zur Schule.
Die Zusammenarbeit basiert auf direktem Kontakt, regelmäßigem Austausch und gemeinsamen Entscheidungen. Marta Rojas und Patricia Arroyave, Martíns Tanten, bringen ihre langjährige Erfahrung aus der Bildungsarbeit in der Region ein. Sie haben viele Familien kennengelernt und die Giraldos aufgrund ihrer Kaffeequalität und ihres Engagements ausgewählt. Wir treffen uns mindestens einmal im Monat online, Marta und Patricia besuchen die Finca ebenfalls regelmäßig. Über unseren monatlichen Newsletter „Der goldene Faden“ halten wir unsere Mitglieder auf dem Laufenden. Gemeinsam bauen wir eine langfristige Perspektive auf, die Ökologie und soziale Gerechtigkeit verbindet.

Welche Herausforderungen begegnen euch dabei, faire und transparente Handelsbeziehungen langfristig aufzubauen?

Der Aufbau fairer Handelsbeziehungen erfordert Geduld, Vertrauen und kontinuierliche Kommunikation – über kulturelle, sprachliche und geografische Distanzen hinweg. Eine zentrale Herausforderung besteht darin, wirtschaftliche Stabilität für die Produzent:innen zu schaffen und gleichzeitig bezahlbare Preise für unsere Kund:innen in Deutschland zu gewährleisten. Erschwert wird dies durch externe Faktoren wie steigende Produktions- und Logistikkosten. Ein weiteres Thema ist die Skalierung unseres Modells: Mit den aktuell kleinen Mengen (etwa 1 Tonne Rohkaffee pro Jahr) können wir noch kein Einkommen für unser Team in Deutschland generieren. Ab etwa 6 Tonnen könnten wir eine 80%-Stelle finanzieren. Unser mittelfristiges Ziel ist ein voller Container – rund 20 Tonnen Kaffee. Auch der Wissensaufbau, z. B. zu ökologischen Anbaumethoden, braucht Zeit. Doch genau dafür wurde unser Modell entwickelt: um gemeinsam zu lernen, zu wachsen und neue Wege zu gehen.

Nachhaltigkeit & Wirkung

Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit sind zentrale Werte von co.hilo. Wie setzt ihr diese in eurem täglichen Handeln konkret um?

Durch unsere Rechtsform als Genossenschaft haben wir eine klare Satzung, die uns auf dem Weg zu sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit leitet. Unsere Struktur ermöglicht es, alle Beteiligten – von der Produktion bis zum Konsum – in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Gleichzeitig stellt sie sicher, dass das langfristig so bleibt: co.hilo kann weder verkauft noch durch große Investoren übernommen werden – jedes Mitglied hat genau eine Stimme.

In der Zusammenarbeit mit der Familie Giraldo in Kolumbien setzen wir auf langfristige Beziehungen und direkte Kommunikation. Nur so lässt sich Vertrauen aufbauen – und ohne Vertrauen können wir keine nachhaltige Transformation anstoßen. Die direkte Verbindung hilft uns außerdem, die Bedürfnisse der Produzent:innen in den Mittelpunkt zu stellen. Gleichzeitig garantieren wir unseren Kund:innen volle Transparenz, um auch auf der Konsument:innenseite Vertrauen zu schaffen. Durch die Zahlung des monatlichen Grundeinkommens ermöglichen wir Planungssicherheit für die Produzent:innen. Außerdem werden die Kosten für die Finanzierung des Bildungsprojektes direkt in unsere Kalkulation eingerechnet – sie sind kein Bonus, sondern fester Bestandteil unseres Preismodells.

Wie messt ihr eure ökologische und soziale Wirkung, und was sind eure wichtigsten Ziele in diesem Bereich?

Unsere Wirkung messen wir derzeit vor allem mit qualitativen Indikatoren: durch den regelmäßigen Austausch mit den Produzent:innen bei unseren monatlichen Treffen, durch die Dokumentation von Fortschritten auf dem Hof, durch die Einbindung der lokalen Community sowie durch das Feedback unserer Mitglieder in Deutschland.

Unsere wichtigsten Ziele sind die vollständige Umstellung auf regenerative Anbaumethoden, die Stärkung der ökonomischen Resilienz der beteiligten Familien in Kolumbien und der Aufbau eines wachsenden Netzwerks bewusster Konsument:innen in Deutschland.

Wir haben mit der Familie Giraldo einen tiefgreifenden Weg der Veränderung entwickelt. Dieses Modell möchten wir nun auch auf weitere Familien ausweiten und unser Netzwerk durch neue Partnerschaften stärken. Langfristig planen wir außerdem, Methoden zur Wirkungsanalyse einzuführen, die sich für kleine Organisationen eignen und unsere Wirkung noch transparenter und nachvollziehbarer machen.

Könntest du uns ein Beispiel nennen, wie eure Arbeit konkret vor Ort zu positiven Veränderungen geführt hat?

In den vergangenen fünf Jahren gab es viele kleine, aber bedeutende Veränderungen, die wir gemeinsam mit der Familie Giraldo auf den Weg bringen konnten. Vor Beginn unserer Zusammenarbeit verfügte die Familie weder über ein Bankkonto noch über eine Internetverbindung auf der Finca. Durch unsere Unterstützung konnten diese grundlegenden Schritte realisiert werden. Sie hatten zudem noch nie mit Menschen gesprochen, die ihren Kaffee trinken – und ihren eigenen Kaffee selbst nie richtig verkostet.

Als wir sie vor etwa vier Jahren erstmals auf ökologische Landwirtschaft ansprachen, lautete ihre Antwort: „Das funktioniert nicht.” Heute führen wir gemeinsam mit der Familie ein Projekt zur Umstellung eines Teils der Finca auf ökologische Anbaumethoden durch. Parallel dazu fördern wir mit co.hilo das Bildungsprojekt „Jardín Municipio Lector“ zur kritischen Alphabetisierung. Während der Pandemie – als die Schulen geschlossen waren – konnte Patricia Arroyave, dank unserer Förderung Lernvideos und Audioinhalte produzieren, die von den Lehrkräften im Online-Unterricht verwendet wurden.

co.hilo und die Reflecta-Community

Nach was sucht ihr konkret in der reflecta-Community, und wie könnte man euch auf eurem weiteren Weg unterstützen?

Wir suchen den Austausch mit Menschen und Projekten, die unsere Werte teilen – vor allem in den Bereichen soziales Unternehmertum, solidarischer Handel und nachhaltiger Konsum. Besonders freuen wir uns über potenzielle Mitglieder und Unternehmen, die einen nachhaltig produzierten Kaffee mit direkter Verbindung zu den Erzeuger:innen trinken möchten. Die einfachste Form der Unterstützung ist der Kauf unseres Kaffees – als Einzelpackung, oder im Abo für Haushalte, Büros und Unternehmen. Eine weitere Möglichkeit, uns zu unterstützen, ist die Mitgliedschaft in unserer Genossenschaft: eine Investition, die unsere Mission langfristig trägt und bereits ab 100 Euro möglich ist. Darüber hinaus wären Kontakte zu Vertriebspartner:innen, möglichen Förderprogrammen oder strategischen Partner:innen sehr wertvoll. Fachliche Unterstützung könnte insbesondere in den Bereichen Kommunikation, Sichtbarkeit und digitale Infrastruktur hilfreich sein.

Gibt es etwas, das ihr der Community anbieten möchtet oder könnt, zum Beispiel Erfahrungen, Wissen oder konkrete Unterstützung?

Ja – sehr gerne! Wir bringen Erfahrungen im Aufbau eines kooperativen Geschäftsmodells mit, das soziale Wirkung mit wirtschaftlicher Praxis verbindet. Außerdem verfügen wir über tiefes Wissen zu den Herausforderungen und Chancen im internationalen, partnerschaftlichen Handel – insbesondere mit Blick auf Lateinamerika. Wir teilen gern unsere Erfahrungen mit solidarischer Finanzierung, Community-Aufbau, Nachhaltigkeitskommunikation und natürlich dem Aufbau echter Beziehungen zu Produzent:innen im Globalen Süden.

Impact-Projekte brauchen Zeit, um Vertrauen und tragfähige Strukturen aufzubauen. Zusammenarbeit und Gemeinschaft sind der Schlüssel für langfristigen Erfolg.

Persönlicher Ausblick & Tipps

Was hast du persönlich aus der Gründung und dem Aufbau von co.hilo gelernt? Welche Tipps kannst du anderen Impact-Gründer:innen mit auf den Weg geben?

Die Gründung von co.hilo war (und ist) ein intensiver Lernprozess. Wie Martín sagte: „Wir bauen co.hilo nicht auf, wir lernen co.hilo.“ Ich habe gelernt, wie wichtig ein klares Ziel, ein starkes Team und eine geteilte Vision sind. Es gibt Höhen und Tiefen, aber die emotionale Verbindung zum Projekt und zu den Menschen trägt uns weiter. Wenn es nur ums Geschäft ginge, hätten wir längst aufgegeben – wirtschaftlich trägt sich das Projekt nach fünf Jahren noch nicht. Wir arbeiten ehrenamtlich und finanzieren uns anders. Ich will das nicht romantisieren: Es ist nicht einfach. Mein Tipp: Seid geduldig. Das ist gerade heute schwer, wo oft erwartet wird, viral zu gehen und exponentiell zu wachsen, aber Impact-Projekte brauchen Zeit, um Vertrauen und tragfähige Strukturen aufzubauen. Zusammenarbeit und Gemeinschaft sind der Schlüssel für langfristigen Erfolg.

Welche Vision hast du persönlich für die Zukunft von co.hilo und den Kaffeehandel allgemein?

Meine Vision für co.hilo ist es, langfristig ein Modell für faire und transparente Handelsbeziehungen zu etablieren, das sowohl den Produzent:innen als auch den Konsument:innen zugutekommt. Wir möchten weiterhin als Genossenschaft wachsen und noch mehr Menschen in den Kreis von co.hilo einladen, sei es als Mitglieder, als Unterstützer:innen oder als Konsument:innen. Ich wünsche mir, dass co.hilo ein nachhaltiges Beispiel dafür wird, wie der Kaffeehandel in Zukunft aussehen kann: transparent, gerecht und regenerativ. Was den Kaffeehandel betrifft, wünsche ich mir eine Zukunft, in der Nachhaltigkeit und faire Handelspraktiken zur Selbstverständlichkeit werden – nicht zur Ausnahme. Ich hoffe, dass immer mehr Unternehmen auf direkte, partnerschaftliche Beziehungen und regenerative Anbaumethoden setzen – und dass auch Konsument:innen diesen Wandel aktiv mittragen und wertschätzen.

Tiago Cunico Volpato auf reflecta.network

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