 
                        09/08/18 · Interviews
 
                Ich möchte dabei helfen, dass Einzelhandel und Gastronomie gemeinsam eine lautere Stimme haben.
Judith Drewke, studierte Expertin in Sachen Corporate Communication, ist seit 2014 als eco-faire Entrepreneurin im Rhein-Main-Gebiet unterwegs. Begonnen hat sie ihre Selbstständigkeit mit der Co-Gründung des Labels jas. slow fashion. Ihr Ziel war es damals, minimalistische und individuelle slow fashion in Deutschland herzustellen. Der Fokus der Wahlmainzerin liegt heute auf der Guidance von Unternehmen, Einzelhändlern und Gastronomen. Mit ihrem Beratungsunternehmen FRAIGAIST entwickelt sie nachhaltige Kommunikationskonzepte und bildet strategische Communication-Networks.
Interview: Daniela Mahr, Januar 2019
Foto: Judith Drewke
Es war von Anfang an mehr als Mode.
Ich komme eigentlich aus dem Marketing und BWL-Bereich, in dem ich 
drei Jahre gearbeitet habe. Die Idee, etwas im Kleidungssegment zu 
gründen, war sehr früh da. Am Anfang hatte das gar nicht viel mit 
Nachhaltigkeit zu tun. Die Grundidee war, individuelle Mode abseits vom 
Mainstream zu machen. Ich habe mich damals zwar durchaus für einen 
nachhaltigen Lebensstil interessiert, dieser stand aber nie im 
Vordergrund. 
Als ich dann jemanden suchte, der meine Ideen grafisch 
umsetzen konnte, lernte ich 2014 meine Co-Gründerin kennen. Diese 
brachte dann verstärkter den Fokus einer eco-fairen Produktion mit ein. 
2015 haben wir uns zusammengetan und das Fashionlabel jas. slow fashion 
gegründet. Wir konzentrierten uns auf Kleinserien und Unikate aus 
Bio-Baumwolle und Upcycling-Elementen.
Während der Gründung bin 
ich Mutter geworden und hatte noch einen Halbtagsjob. In der Altstadt 
entdeckte ich unser erstes Ladenlokal, das wir dann ein Jahr nutzen 
sollten. Ich fasste den Mut und beschloss, ins kalte Wasser zu springen 
und mich nach meiner Elternzeit komplett der neuen Selbstständigkeit zu 
widmen. 
Wir haben die Ideen für die Kleidung entwickelt und hatten eine 
Modedesignerin beschäftigt, die sie umsetzte. Später wurde unsere 
Kleidung in Sachsen produziert. Nach einem Jahr zogen wir mit dem Laden 
in die Neustadt und gründeten mit Klotz&Quer und JECKYBENG eine 
Laden-WG. Heute mache ich jas. mehr oder weniger allein – konzentriere 
mich allerdings mehr auf meine Beratungstätigkeiten.
Ich möchte dabei helfen, dass Einzelhandel und Gastronomie gemeinsam eine lautere Stimme haben.
Ja, wir hatten seit Anbeginn ein Konzept und ein Rahmenprogramm. Wir 
haben Verkaufspartys, ähnlich wie die Tupperware-Partys mit Modenschauen
 veranstaltet. Tatsächlich hätten wir bereits viel früher eine 
„Laden-WG“ eröffnen können, wenn wir die Idee eher besprochen hätten. 
Ich wollte, wie vermutlich die meisten Gründer in Mainz, schon immer in 
die Neustadt. Die Idee, unsere Produkte gemeinsam auszustellen, lag sehr
 nahe. Von der Persönlichkeit passen wir auch wirklich gut zusammen. 
Ja, wie oben schon angeklungen, bin ich wieder in einer Veränderungsphase. Das Konzept des Labels wird stark überarbeitet. Es soll künftig als Referenz dienen und ich werde mich wieder mehr dem Marketing mit Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit widmen. Zurzeit berate ich eine Filmfirma, die sich nachhaltig ausrichten möchte.
Für 
Einzelhändler*innen und Gastronom*innen habe ich vor einer Weile ein 
Netzwerk gegründet. Hier arbeite ich gerade das Konzept weiter aus, weil
 ich dabei helfen möchte, dass wir gemeinsam eine lautere Stimme haben. 
Vor allem gegenüber den großen Playern. Wir alle wissen, dass die 
meisten kleinen Einzelhändler und Gastronomen wenig Geld für Marketing 
haben. Ein Zusammenschluss kann da helfen. Die Idee ist: 
Marketingleistung als Community. Die Gruppe kann mich gemeinsam buchen.
Das biete ich natürlich nicht nur in Mainz an. Mainz dient aber als 
Referenz. Konzentrieren werde ich mich auf mitteldeutsche Städte. Bei 
meinen Reisen habe ich gemerkt, dass man in anderen Städten genau die 
gleichen Probleme hat. Da bieten sich Zusammenschlüsse an. 
Vor allem die mangelnde Sichtbarkeit. Daneben das Preisgefüge, das 
viele Menschen noch nicht verstehen und das ihnen nähergebracht werden 
muss. Ebenfalls zu beobachten ist das Konkurrenzdenken, mit dem sich die
 Unternehmen selbst im Weg stehen. Das habe ich vor allem bei älteren 
Ladeninhabern feststellen können. Die Jungen sind da eindeutig 
aufgeschlossener. Ansonsten ist allen gemeinsam, dass ihnen Zeit und 
Geld für Marketing fehlen, obwohl es wirklich wichtig wäre. Viele 
jüngere Ladenbesitzer nutzen Instagram. Ein Netzwerk aufzubauen ist da 
schon schwieriger und die Pressearbeit, die mindestens genauso wichtig 
ist, gerät leider auch immer mehr in den Hintergrund. All das und mehr 
würde ich den Menschen gerne wieder näherbringen. Dafür habe ich 
FRAIGAIST gegründet. 
Dass man immer in Bewegung bleiben muss. Man sollte zwar fokussiert sein auf das was man machen möchte, aber gleichzeitig muss man auch offen bleiben. Nur weil eine Entscheidung getroffen wurde, ist sie nicht in Stein gemeißelt. Man sollte immer wieder nachprüfen, ob alles so passt, wie es gerade ist. Wenn man selbständig sein möchte, dann muss man in Bewegung bleiben. Ein weiterer Lerneffekt ist, dass man miteinander reden muss. Alleine schafft man es nicht.
Nachhaltigkeit muss sexy sein!
Am meisten über schwierige Zeiten hinweggeholfen hat mir die Tatsache, dass ich immer noch an mich glaube. Ich glaube, trotz aller Änderungen, an die Idee und denke, dass ich auf einem guten Weg bin. Und nicht zuletzt sind es mein Mann und mein Kind, die mich jeden Abend wieder erden, egal was am Tag passiert ist.
Kurz nachdem ich in meinen Laden in der Altstadt gezogen bin, lernte 
ich Stefanie Jung von „best of Mainz“ kennen. Ich hatte sie 
angeschrieben und gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, eine 
nachhaltige Stadtführung mit mir zu machen. Ich hatte Lust, es 
auszuprobieren und sie war offen und hat sehr schnell zugesagt. Dann 
kamen wir beide auf Tatiana Herda Muñoz, die wir beide kannten und uns 
war klar, dass sie für die Nachhaltigkeitsthemen die Richtige ist. 
Zu 
dritt haben wir dann die „Nachhaltigkeitstour“ gestartet. Die Tour wuchs
 allerdings nie über 15 Personen. Ab dem Moment, als wir es in „Urban 
Mainz“ umbenannt haben, war die Hütte voll. Das war übrigens auch ein 
guter Lerneffekt: Nachhaltigkeit muss sexy sein! Insgesamt haben wir 
vier Touren zusammen organisiert. Mittlerweile sind sie alle sehr 
schnell ausgebucht.
 Das hat mir auf Dauer aber nicht gereicht und
 ich begann, mich umzusehen. In der Altstadt bin ich dann auf drei bis 
vier alteingesessene Vereine gestoßen, die sich um gemeinsame Werbung 
kümmern. Die Strukturen haben auf mich jedoch nicht sehr einladend und 
eher unmodern gewirkt. 
Deshalb war mein Ziel, etwas Junges und Frisches 
zu schaffen – und dabei niemanden auszuschließen. Ich habe dann einfach 
alle Ladenbetreiber und Gastronomen, die mir über den Weg liefen 
eingeladen. Auch weil ich es selbst total spannend fand, die Menschen 
und Geschichten kennenzulernen. 
Wir sind eine Kerngruppe von knapp 15 
Personen aus Einzelhandel und Gastronomie. Mit der Gruppe kann man 
schöne Aktionen planen: Feste, ein gemeinsames Branding, einen Blog mit 
den aktuellen Neuigkeiten und vieles mehr. Die Gruppe kann sich die 
Kosten teilen und jemanden gemeinsam z. B. für einen Vortrag oder 
Workshop buchen. Oder es entstehen andere Kooperationen untereinander. 
Zukünftig möchte ich mit FRAIGAIST
 diese Gruppe ‚leiten‘ und die Administration übernehmen. Die Mitglieder
 zahlen eine monatliche Gebühr und erhalten Vergünstigungen auf 
Workshops und Veranstaltungen – und natürlich eine enorme Zeit- und 
Kostenersparnis. Später wird das Konzept auch in anderen Städten 
ausgerollt.
Mit dem Label kann ich testen, welche Kommunikationsstrategien funktionieren können.
Zu Beginn hatten wir eine Designerin im Laden, die Einzelstücke auf 
Manufakturebene angefertigt hat. Da diese Art von Produktion fast 
unbezahlbar ist, haben wir die Produktion nach Sachsen ausgelagert. Uns 
ist es sehr wichtig, dass Händler fair bezahlt werden. Das wiederum hat 
sich nicht mit den Margen vereinbaren lassen, die wir in anderen 
Geschäften hätten nehmen müssen. 
Deshalb haben wir entschieden, die 
Kleidung nur online und im Laden in Mainz zu verkaufen. Zudem 
experimentiere ich mit Preismodellen: Ich nenne den Einkaufspreis und 
die Menschen können zusätzlich zum Einkaufspreis zahlen, was es ihnen 
Wert ist. Man kommt dadurch mit den Kunden sehr gut ins Gespräch. 
Mit dem Label kann ich testen, welche Kommunikationsstrategien 
funktionieren können. Wie sehr muss sich Mode gängigen Trends ergeben? 
Wie kann man als kleiner Laden z. B. gegen die großen Rabatte der 
Konzerne ankommen?
Ich glaube, man muss Menschen zeigen, dass Nachhaltigkeit, ökologisches und soziales Handeln nichts Schlimmes ist (lacht). Es macht doch viel mehr Spaß, bewusst einzukaufen. Sich über diese Dinge bewusst zu werden, dauert aber eine Weile. Als ich damals mein erstes richtiges Geld verdient habe, wurde das Shoppen damit zelebriert. Wir haben uns einen ausgiebigen Shopping-Tag mit Frühstück gegönnt. Heute machen wir dafür andere Sachen, die viel mehr Spaß machen. Damals war Shoppen Befriedigung, heute brauche ich das nicht mehr. Durch Jana Blume zum Beispiel kam ich zu Vintage. Sie erzählt die Geschichte ihrer Kleidungsstücke und das macht viel mehr Spaß.
Neben dem Weltverbessern darf das Wohlbefinden und der Genuss nicht vergessen werden.
Die eben genannte Jana Blume, dann auf jeden Fall Tatiana Herda Muñoz
 mit ihren Ideen und ihrer Weitsicht zu Entwicklungen in Mainz und der 
Tatsache, dass sie die Politik dabei mitnimmt. Ansonsten ist es 
tatsächlich schwierig einzelne zu nennen, weil mich die komplette Szene 
der jungen Unternehmer_innen inspiriert. 
Die Bar jeder Sicht ist zum 
Beispiel wirklich besonders und toll, auch für Heteros. Paul von der 
Kaffeekommune ist als Mensch auch wahnsinnig inspirierend, Felix von 
Peacefood habe ich vor kurzem kennengelernt und finde ihn auch sehr 
spannend. Die Szene um das M1
 ist interessant, aber das muss ich mir noch eine Weile ansehen, um mehr
 dazu sagen zu können. Ansonsten Norma von Salute, das Möhrenmilleu. Bei
 Jan von Gasthaus Willems finde ich es toll, wie er als sehr junger 
Mensch ein so gehobenes Lokal führt. Aber auch zum Beispiel die 
Weinraumwohnung oder das Eulchenbier. 
Es gibt viele Projekte die, obwohl
 sie schon gewachsen sind, immer noch ein Interesse daran haben, ihre 
Stadt weiterzuentwickeln. Das freut mich zu sehen. 
Ich wohne seit 2011 in Mainz und habe mich direkt in die Stadt 
verliebt. Es passiert hier sehr viel. Sowohl positive als auch negative 
Dinge. Negativ ist, dass es einen Ort wie die Planke Nord nicht mehr 
gibt und junge/alternative Kultur im Allgemeinen zu wenig Beachtung 
findet. Ich würde als Erstes den Ausbau von Fahrradwegen vorantreiben 
und das Karstadtgebäude abreißen und dort einen Citypark mit vielen 
kulturellen Angeboten aufbauen.
Außerdem sollte es viele kleine freie 
Kulturorte in der Stadt geben, mit guter Musik oder Poetryslam. Denn 
neben dem Weltverbessern darf das Wohlbefinden und der Genuss nicht 
vergessen werden. Wenn man diese Balance schafft, hat man auch als Stadt
 gezeigt, dass Nachhaltigkeit schön sein kann.
 
                        09/08/18 · Interviews
 
                        20/11/20 · Interviews
 
                         
                         
                         
                         
                         
                         
                        