Reflecta

Dr. Katharina Prost über Kreislaufwirtschaft, Klimaschutz und nachhaltige Lösungen mit Pflanzenkohle und Sanitärsystemen in Äthiopien

Dr. Katharina Prost ist Mitglied der Reflecta Community und Gründerin von ClimEtSan-OnTheGround. Mit rauchfreien Kochöfen, Trockentoiletten und Pflanzenkohle-Kompost setzt sie sich in Äthiopien für saubere Luft, sichere Sanitärversorgung und fruchtbare Böden ein – und zeigt, wie Forschung in praxisnahe, wirkungsvolle Lösungen verwandelt werden kann. Im Interview spricht sie über ihre Motivation, ihre Vision für nachhaltige Kreisläufe und die Kraft gemeinschaftlicher Veränderung.

Von der Forschung in die Praxis

Hallo Katharina, schön, dass du Teil der Reflecta Community bist! Erzähl uns: Was genau macht ClimEtSan-OnTheGround – und wie kam es zu diesem Namen?

ClimEtSan-OnTheGround ist die praktische Fortführung des Forschungsprojekts „Capacity building in climate-smart agriculture and ecological sanitation in Ethiopia (ClimEtSan)“, das ich von 2017 bis 2021 als Projektkoordinatorin am Forschungszentrum Jülich begleitet habe.
Gemeinsam mit deutschen und äthiopischen Partnern haben wir Pyrolyse-Kochöfen und Trockentoiletten getestet. Die dabei entstehenden Abfälle haben wir mit Pflanzenkohle in sicheren Dünger verwandelt. Die Ergebnisse waren so überzeugend, dass ich nach Ende der Forschung beschloss, ein Spin-off aus dem Forschungszentrum zu gründen – um die Lösungen direkt vor Ort umzusetzen.

Heute bringen wir diesen Ansatz in zirkulären Klimaschutzprojekten im Globalen Süden in die Praxis, mit Äthiopien als erstem Partnerland. Wir kombinieren rauchfreie Kochöfen, ökologische Sanitärsysteme und die Herstellung von Kompostdünger mit Pflanzenkohle.

Auf diese Weise entstehen gesündere Lebensbedingungen, neue Einkommensquellen und eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft.

Der Name macht das Programm deutlich: Von der Forschung (ClimEtSan) in die Anwendung (OnTheGround) – für Klimaschutz, fruchtbare Böden und die Menschen vor Ort.

Forschung allein reicht nicht. Mit ClimEtSan-OnTheGround kann ich Projekte direkt realisieren – für Klimaschutz, der auch Lebensbedingungen verbessert.


Warum ein Unternehmen notwendig wurde

Du hast den Schritt aus der Forschung in die Praxis gewagt. Was hat dich dazu bewegt, ein eigenes Unternehmen zu gründen?

Äthiopien hat mich tief geprägt. Während meiner Aufenthalte habe ich die Herzlichkeit der Menschen, die atemberaubende Natur und die starke Kultur erlebt. Gleichzeitig wurde ich mit den harten Realitäten konfrontiert: Über 90 Prozent der Haushalte kochen noch auf offenen Feuern, was vor allem Frauen und Kinder gesundheitlich stark belastet.

Abwässer gelangen ungeklärt in die Umwelt, Durchfallerkrankungen sind eine der häufigsten Todesursachen bei Kindern. Und die Böden sind vielerorts durch Erosion und Nährstoffmangel ausgelaugt, die Ernten schrumpfen sichtbar.

Unser Forschungsprojekt zeigte, dass Pyrolyse-Öfen, ökologische Sanitärsysteme und Pflanzenkohle-Dünger Lösungen für all diese Probleme bieten. Saubere Energie, sauberes Wasser und fruchtbare Böden lassen sich miteinander verbinden.

Forschung allein reicht jedoch nicht. Unsere Ergebnisse waren so vielversprechend, dass es sich aufdrängte, sie praktisch umzusetzen. Mit ClimEtSan-OnTheGround habe ich die Möglichkeit, diese Projekte direkt zu realisieren – für Klimaschutz, der gleichzeitig Lebensbedingungen verbessert.

Wir bewegen uns gerade mit Lichtgeschwindigkeit auf eine Situation zu, in der uns der Boden unter den Füßen weggerissen wird.


Warum der Boden im Zentrum steht

Du verbindest in deinen Projekten Klimaschutz, Sanitärversorgung, Bodenfruchtbarkeit und Kreislaufwirtschaft. Wie greifen diese Themen ineinander?

Als Bodenkundlerin beginne ich immer beim Boden. Schon heute sind über 30 Prozent aller landwirtschaftlichen Flächen weltweit ausgelaugt. Laut FAO könnte dieser Anteil bis 2050 auf 90 Prozent steigen, wenn wir nichts ändern. Wir steuern also in rasantem Tempo auf eine Situation zu, in der wir unsere Ernährungssicherheit verlieren.

Doch es gibt eine Lösung: humusaufbauende Düngemittel. Pflanzenkohle-Kompost ist ein solcher Dünger. Er regeneriert Böden nachhaltig, fördert das Bodenleben und steigert die Ernten – insbesondere, wenn die Landwirtschaft insgesamt auf bodenschonende Methoden umstellt.

Um diesen Kompost herzustellen, nutzen wir ökologische Trockentoiletten. Sie sammeln Exkremente, die zusammen mit Biomüll und Pflanzenkohle durch Heißkompostierung in einen sicheren, nährstoffreichen Dünger verwandelt werden. So steigern wir nicht nur die Bodenfruchtbarkeit, sondern binden auch CO₂ langfristig im Boden.

Die Pflanzenkohle selbst entsteht in unseren rauchfreien Kochöfen. Damit wird die Hitze direkt zum Kochen genutzt, während zugleich saubere Luft in den Küchen und wertvolle Pflanzenkohle für die Landwirtschaft entsteht. Das Ergebnis: ein geschlossener Kreislauf, der Gesundheit, Klimaschutz und Ernährungssicherheit gleichzeitig stärkt.

Pflanzenkohle-Kompost regeneriert Böden, steigert Ernten – und bindet CO₂ über Jahrtausende.


Klimaschutz durch Kreisläufe

Deine Vision ist ambitioniert: den Klimawandel rückgängig machen – mit Pflanzenkohle, Kompost und Trockentoiletten. Was macht dich so sicher, dass das möglich ist?

Weltweit nutzen Milliarden Menschen Grubenlatrinen, auch in Äthiopien. Diese günstigen, einfachen Toiletten sind jedoch eine erhebliche Quelle von Treibhausgasen und für bis zu zwei Prozent der globalen Methanemissionen verantwortlich. Hinzu kommt Biomüll, der vielerorts ungetrennt auf Deponien landet und weitere Emissionen verursacht.

Wenn wir diese Abfälle recyceln, eröffnet sich ein riesiges Klimaschutzpotenzial. Wird Pflanzenkohle in den Kompost gemischt, lassen sich Emissionen noch stärker reduzieren – das haben wir im Forschungsprojekt zeigen können. Gleichzeitig speichert die Pflanzenkohle den Kohlenstoff dauerhaft im Boden.

Unsere Öfen verstärken den Effekt, denn sie benötigen nur rund 40 Prozent des üblichen Brennstoffs. Damit werden zusätzlich Emissionen vermieden und Wälder geschützt.

Unser Ziel ist ambitioniert: In den kommenden sechs Jahren wollen wir Trockentoiletten für 40.000 Menschen und Kochöfen für 100.000 Haushalte bereitstellen. Daraus entstehen 120.000 Tonnen Pflanzenkohle-Dünger – genug, um 2.000 Hektar Boden zu regenerieren. Damit vermeiden und binden wir rund 250.000 Tonnen CO₂.

Äthiopien fasziniert mich mit seiner Kultur, Gastfreundschaft – und natürlich mit dem besten Kaffee der Welt.

Persönliche Motivation

Was treibt dich persönlich an, dich gerade in Äthiopien so intensiv zu engagieren?

Äthiopien ist mit 125 Millionen Einwohner:innen das zweitbevölkerungsreichste Land Afrikas. Es besitzt eine uralte, reiche Kultur und wurde nie vollständig kolonialisiert. Die Menschen beeindrucken mich durch Herzlichkeit, Gastfreundschaft und tiefe Spiritualität. Traditionen wie die gemeinsame Kaffeezeremonie sind fest im Alltag verankert.

Auch die Natur fasziniert mich: Hochgebirge, Wüsten unterhalb des Meeresspiegels, einzigartige Tiere und Pflanzen. Kurz gesagt: Ich bleibe begeistert von Land, Menschen, Kultur – und nicht zuletzt vom besten Kaffee der Welt.

Unsere Kochöfen schaffen Einkommen, unsere Toiletten sichern Gesundheit – und gemeinsam schließen sie Kreisläufe.

Projekte vor Ort

Wie sehen eure Projekte konkret aus? Wer profitiert – und wer macht mit?

Wir arbeiten mit lokalen Werkstätten zusammen. Dort entstehen unsere Kochöfen aus Lehm, Sand und Metall – ressourcenschonend und in Handarbeit. Die Öfen werden in den Gemeinden vertrieben. Die beim Kochen entstehende Pflanzenkohle kaufen wir zurück, wodurch Frauen ein zusätzliches Einkommen erzielen können.

Als nächstes bauen wir ein öffentliches Toilettenhaus mit Trockentoiletten. Das Grundstück hat uns die Partnerstadt kostenfrei überlassen, weil dringend eine funktionierende Sanitärversorgung gebraucht wird.

Gleichzeitig entstehen so die Abfälle, die wir für unsere Düngerproduktion benötigen. Mineralische Dünger sind teuer, knapp und zerstören auf Dauer die Böden – unser Ansatz bietet eine nachhaltige Alternative.

Das Toilettenhaus wird zudem ein Begegnungsort sein. Die Nachbarschaft lernt diese neue Form der Sanitärversorgung kennen, und ab 2026 wollen wir Miettoiletten für Privathaushalte anbieten. Da auch Biomüll dort gesammelt werden kann, entsteht ein effizientes Sammelsystem für organische Abfälle.

Alle Produkte entstehen lokal, wodurch wir faire Arbeitsplätze schaffen. Eine Tochterfirma in Äthiopien ist in Vorbereitung, und Gewinne werden fast vollständig reinvestiert. Über Einnahmen aus Klimaschutzgeldern, etwa durch den Verkauf von CO₂-Zertifikaten, können wir unsere Produkte künftig zu erschwinglichen Preisen anbieten und so die Lebensbedingungen vieler Menschen verbessern.


Alltagsnahe Lösungen

Was macht euren Ansatz – technisch wie sozial – so wirkungsvoll und zugleich alltagstauglich?

Unsere Technologien sind an die lokalen Bedingungen angepasst. Wir produzieren mit lokalen Ressourcen und Arbeitskräften, in Handarbeit und unabhängig von Importen oder Strom. Dadurch sind wir krisensicher und schaffen Arbeitsplätze. Die Produkte sind robust, leicht zu warten und für die Menschen vor Ort erschwinglich.

Kreisläufe auch im Alltag

„Kreisläufe schließen“ ist ein zentrales Prinzip bei euch. Was bedeutet das für euch im Alltag – ökologisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich?

Was wir in Äthiopien praktizieren, leben wir auch in Deutschland: vom Gartenkompost über die Nutzung von ÖPNV bis hin zu fair produzierten Lebensmitteln und Second-Hand-Produkten. Eine Erfahrung aus Äthiopien ist besonders prägend: Weniger ist oft mehr. Es ist eine Bereicherung, nicht jederzeit alles konsumieren zu können. Das Wesentliche rückt in den Vordergrund – Miteinander, Gemeinschaft und Zusammenhalt.


Crowdfunding für ein Toilettenhaus

Ihr plant aktuell ein öffentliches Öko-Toilettenhaus und startet dazu eine Crowdfunding-Kampagne. Was ist das Ziel – und wie kann man euch unterstützen?

Das Toilettenhaus ist der nächste Schritt unseres Kreislauf-Projekts. Es wird einer Community von über 2.000 Menschen kostenfreie Sanitärversorgung bieten. Ergänzt wird es durch eine kleine Saftbar, die Arbeitsplätze schafft, Einnahmen generiert und dafür sorgt, dass die Toiletten regelmäßig betreut werden.

So wird aus dem Toilettenhaus eine Begegnungsstätte, die eine neue Form der Sanitärversorgung bekannt macht – auch für Entscheidungsträger:innen aus Politik und Entwicklungszusammenarbeit.

Leider wird Klimaschutz durch tagespolitische Krisen immer stärker verdrängt, was Finanzierungen schwierig macht. Daher freuen wir uns über jede Unterstützung – sei es durch Spenden, Teilen der Kampagne oder die Teilnahme an Workshops, in denen wir unsere Form der Kreislaufwirtschaft vorstellen.

Kooperation mit der Reflecta Community

Nach was suchst du konkret in der Reflecta Community – und welche Unterstützung würde euch am meisten helfen?

Wir schätzen die Vielfalt an engagierten Changemakern in der Reflecta Community. Besonders wichtig ist uns der Austausch mit Menschen, die im Bereich Kreislaufwirtschaft oder im Globalen Süden arbeiten.

Wir sind offen für Kooperationen mit NGOs und anderen Projekten. Gerne geben wir unser Wissen aus acht Jahren Erfahrung in Äthiopien in Workshops weiter.

Unternehmen, die sich für Klimaschutz engagieren möchten, können uns zudem durch den Kauf von CO₂-Zertifikaten unterstützen. Diese werden ab 2027 nach Zertifizierung unter dem Standard Carbon Standards International ausgeliefert.


Erfahrungen weitergeben

Was kannst du selbst anderen Reflecta-Mitgliedern mitgeben – aus deiner Erfahrung in der Forschung, im Globalen Süden und als Gründerin?

Das Forschungsprojekt gab uns die Chance, unsere neuartige Kreislaufidee in Äthiopien zu erproben – mit großem Erfolg. Doch für solch anwendungsorientierte Konzepte gibt es kaum Anschlussförderungen.

Viele denken bei Afrika immer noch zuerst an Entwicklungshilfe. Partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe, die auf Handel oder Klimaschutzwirkungen beruht, ist schwer zu vermitteln, aber entscheidend für nachhaltige Projekte.

Zum Glück gibt es immer mehr positive Beispiele, wie etwa die in Ghana produzierte Schokolade fairafric, die zeigt, wie faire Wertschöpfung in Afrika gelingt.

Ein afrikanisches Sprichwort sagt: Wenn du denkst, dass du zu klein bist, um etwas zu bewirken, hast du die Nacht noch nie mit einer Mücke verbracht.


Ausblick und Inspiration

Was hast du persönlich aus dem Aufbau von ClimEtSan gelernt, das du anderen Changemaker:innen mit auf den Weg geben würdest?

Ganz entscheidend sind Ressourcen, Kommunikation und Vernetzung. Ein Start-up baut man nicht über Nacht. Nur durch Austausch mit anderen und durch beharrliches Machen wird ein Konzept klarer und stärker. Man braucht langen Atem und die Bereitschaft, sich mit vielen Menschen zu vernetzen.


Und zuletzt: Was wünschst du dir – für ClimEtSan, für Äthiopien und für die Zukunft des Planeten?

Mein größter Wunsch ist Frieden – verbunden mit Toleranz und echter Begegnung auf Augenhöhe. Mit Spaltung und Angst kommen wir nicht weiter. Nur gemeinsam können wir die immensen Herausforderungen unserer Zeit bewältigen.

Und ich wünsche mir, dass wir erkennen, wie viel Kraft wir haben – als Einzelne und vor allem zusammen. Ein afrikanisches Sprichwort sagt: „Wenn du denkst, dass du zu klein bist, um etwas zu bewirken, hast du die Nacht noch nie mit einer Mücke verbracht.“

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