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Tatiana Herda Muñoz über aktiv gelebten Klimaschutz und das Verhältnis von Ehrenamt, Verwaltung und Social Business.

Der Wunsch, Zukunft aktiv zu gestalten ist der rote Faden, der sich durch meine Arbeit und mein Leben zieht.

Tatiana Herda Muñoz, arbeitete lange Zeit im Bereich der erneuerbaren Energien und war bis vor kurzem Klimaschutzmanagerin der Landeshauptstadt Mainz, wo sie zielgruppengerechte Klimaschutzdienstleitungen testete und einführte. Außerdem hat sie als zweite Vorsitzende von 2016 bis 2018 den Bundesverbandes Klimaschutz (BVKS) mitaufgebaut. Tatiana Herda Muñoz hat einen Bachelor of Science "Environmental Impact Assessment" und einen Master of Science in Energiemanagement mit dem Schwerpunkt Klimakommunikation.

Interview: Daniela Mahr, September 2018
Foto: Tatiana Herda Muñoz


Wie wollen wir zukünftig zusammenleben und was müssen wir heute dafür tun, dass es Realität wird?


Du wirst oft als Klimaschutz-Aktivistin beschrieben. Siehst Du Dich auch so? Was war Deine Hauptmotivation aktiv zu werden?

Ich selbst verstehe mich nicht als Klimaschutz-Aktivistin. Mir geht es vielmehr darum, meine Zukunft mitgestalten zu können. Wenn ich mir die Zukunft vorstelle, dann kommen darin saubere Energien, Ressourcen-Effizienz und fairer Handel vor. Natürlich auch der Respekt gegenüber anderen Menschen und Gleichberechtigung.

Bei all meinen Projekten stelle ich mir die Frage, was ich aktuell dazu beitragen kann und wen ich dafür brauche, um dieses Ziel zu erreichen. Das ist der rote Faden, der sich durch meine Arbeit und mein Leben zieht.

Wie sah Dein beruflicher Weg bis dahin aus?

Ich habe Umweltwissenschaften, genauer Environmental Impact Assessment studiert. Dort habe ich mich mit der Auswirkung von Projekten auf die Umwelt beschäftigt. Nach dem Studium wollte ich mit meinem neuen Partner zurück nach Mainz und suchte einen Job, der entfernt etwas mit meiner Ausbildung zu tun hatte.

Ich landete dann bei einem Unternehmen, das erneuerbare Energien in Lateinamerika entwickelt. So kam ich dann zur „Projektarbeit“ im Allgemeinen.

Während dieser Zeit war ich viel in Costa Rica, Uruguay und Chile und habe mich um das Stakeholdermanagement und Social Impact Assessment für die Windparks gekümmert.

Mit 26 Jahren habe ich dann bei einem Beratungsunternehmen gearbeitet, das Entwicklungsbanken berät. Ich entwickelte dort einen Leitfaden für die Vergabe von Mikro- und KMU-Kredite an Unternehmensgründer in Entwicklungsländern. Dabei sollten die Standards der Weltbank im Bereich Soziales und Umwelt eingehalten werden. Die Kreditvergabe wurde möglichst unkompliziert gestaltet und es musste eine Kontrollmöglichkeit für die Bankangestellten entwickelt werden.

Ein Schwerpunkt dabei war, den Existenzgründern zu zeigen, dass der nachhaltige Umgang mit ihren Ressourcen ihr eigenes Unternehmen langfristig sichert. Leider fühlte ich mich wegen des Betriebsklimas und der internen Unternehmensführung, die sich sehr vom Image der Firma nach Außen unterschied, dort nicht lange wohl und verließ das Unternehmen bald wieder.

Nach drei Jahren in der Verwaltung habe ich gemerkt, dass es uns vor allem an Empathie fehlt.


Ab wann hat sich bei Dir der Wunsch gebildet, Zukunft aktiv mitzugestalten?

Mit 26 war meine Motivation, mich für die Energiewende und die Global Goals einzusetzen, noch nicht wirklich verankert. Mir wurde allerdings nach und nach klar, dass ich immer von Gleichgesinnten umgeben bin und ich begann mich zu fragen, wo und ab welchen Moment ich etwas bewirke. Man fängt doch erst dann wirklich an etwas zu verändern, wenn es weh tut.

Mir wurde bewusst, dass ich mich in einer elitären Blase befand, weil alle meine Freunde und Bekannten Abitur hatten oder studierten. Warum hatte ich keine Handwerker in meinem Kreis oder Menschen, in meinem Alter, die nach einer Ausbildung arbeiten und bereits verheiratet waren und Kinder hatten?

Die Ausschreibung der Stelle einer kommunalen Klimaschutzmanagerin sah ich als willkommene Möglichkeit, aus meiner Blase zu steigen. Ich verdiente dort zwar weniger Geld als zuvor, aber das war es mir Wert. Die Verwaltung sehe ich als eine Art „Hub“ mit Zugang zu allen gesellschaftlichen Gruppen.

Allein in der Verwaltung selbst sind ja alle Gruppen vertreten. Ich habe gemerkt, wie viel Macht sie durch ihre Reichweite hat. In diesem Prozess wurde mir bewusst, dass es nicht mehr nur um Energiewende oder Klimaschutz, sondern wirklich um die Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens geht.

Wie wollen wir zukünftig zusammenleben und was müssen wir heute dafür tun, dass es Realität wird? Meine Schwester, ihr und mein eigener Partner sind dabei auch große Inspiration für mich.

Du hast Dich stets reflektiert und Dir von Deiner Umwelt Feedback geholt.

Ja, unbedingt. Und zwar vor allem von Menschen, die sich nicht in meiner komfortablen Blase befanden. Nach drei Jahren in der Verwaltung habe ich gemerkt, dass es uns vor allem an Empathie fehlt. Es ist wichtig, sich in die Menschen hineinzuversetzen, die deinen Kaffee ernten oder deine Kleidung herstellen.

Oder aber auch in diejenigen, die ihr eigenes Auto als eine Selbstverständlichkeit betrachten. Wie fühlen sie sich plötzlich, wenn das Auto, also ihr eigenes Leben, so negativ in Frage gestellt wird? Hier sehe ich den Schlüssel zu Veränderung.

Man muss zu den Menschen außerhalb seiner Blase gehen und ihnen wirklich und aufrichtig zuhören.


Um Veränderung zu erreichen: Wo siehst Du jeweils die Vor- und Nachteile von Non-Profit Organisationen und Social Businesses?

Das Ehrenamt sehe ich skeptisch, weil es Aufgaben auffängt, die eigentlich von der Gesellschaft getragen werden sollten. Das heißt, es sind meist Tätigkeiten, die eigentlich vom Staat über Steuern finanziert werden oder als Dienstleistung angesehen werden müssten.

Damit werden der Staat und große Unternehmen entlastet. Ein pragmatisches Beispiel ist die Integration von Geflüchteten. Social Business ist zwar ein gutes Konzept, aber auch das sehe ich kritisch. Hier entsteht schon wieder eine enorme Blase, in der sich alle gegenseitig auf die Schulter klopfen.

Die perfekte Vision von Social Business ist für mich, wenn es kein Social Business geben muss. Es sollte zur DNA einer jeden Unternehmensgründung gehören, dass man auch gewisse soziale Probleme löst und sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusst ist. Das bedeutet, dass sich ein Unternehmen darüber Gedanken machen muss, wie es mit wem arbeitet und welche Ressourcen es verbraucht.

Kann man von einem Unternehmen erwarten, alle Konsequenzen zu überblicken?

Nein, es ist völlig in Ordnung, sich einzugestehen, dass man nicht alles überblickt. Ich finde es am wichtigsten, dass überhaupt etwas passiert. Man muss den Menschen, die zuvor vielleicht gar keinen Bezug zu Themen wie Nachhaltigkeit hatten, auch die Chance geben, etwas zu versuchen.

Das gilt zum Beispiel auch für Großkonzerne wie Unilever. Die haben sich mit der Übernahme von Ben & Jerrys auch auf den Weg gemacht. Durch die Übernahme wurde Ben & Jerrys nicht böse, sondern es eröffnete sich ein neuer Weg für Unilever. Sie haben gesehen, dass der lokale, faire Handel für Ben & Jerry ein höheres Ziel war, und dass sie damit erfolgreich sind. Auch wenn der Konzern nicht ganzheitlich glaubwürdig und korrekt ist, bringt es nichts, wenn wir sie als Ökomoralisten komplett verurteilen und ihnen keine Chance geben.

Mir war ganz lange nicht bewusst, wozu ich eigentlich in der Lage bin.


Was war der größte Lerneffekt bei der Umsetzung Deiner Projekte?

Was immer wieder einen Aha-Effekt beim mir auslöst ist, wenn ich mich getraut habe, Dinge einfach anzufangen. Einfach machen und keine Angst vor dem Misserfolg! Unsere Vorstellung vom Scheitern, vor allem in Deutschland, sollten wir sowieso überdenken. Ich habe ja mexikanische Wurzeln und dort existiert die Angst vor dem Anfangen einfach nicht – man macht es einfach (lacht).

Ein anderer Punkt, den ich gelernt habe ist, dass es unglaublich viel bringt, kleinteilig zu handeln. Es reicht durchaus, wenn man kleine Projekte plant, die nicht die ganze Welt miteinschließen, beispielsweise ein kleines Konzert mit Gesprächsrunde im Viertel. Ich nenne das „Micro-Influencing“. Das kann wie ein Schneeballsystem wirken.

Der dritte, sehr wichtige Punkt ist: Zuhören. Man muss zu den Menschen außerhalb seiner Blase gehen und ihnen wirklich und aufrichtig zuhören, statt mit der Motivation auf sie zuzugehen, sie überzeugen zu wollen. Wenn man sich gegenseitig wertschätzt, erreicht man viel mehr. Das dauert seine Zeit, aber wenn die Menschen erstmal gespürt haben, dass sie wertgeschätzt werden, dann sind sie bei der Sache und bleiben es auch.

Man muss allen Konzernen die Chance zur Veränderung geben.


Gibt es etwas, das Du heute anders machen würdest?

Ja, auf jeden Fall. Mir war ganz lange nicht bewusst, wozu ich eigentlich in der Lage bin. Mein eigenes Empowerment hat lange gebraucht. Erst mit ca. 25 Jahren wurde mir das langsam bewusst und das ist für mein Empfinden viel zu spät.

Deswegen finde ich es sehr wichtig, dass diejenigen, die schon über das Bewusstsein verfügen, anderen Menschen zu mehr Empowerment und Selbstvertrauen verhelfen. Ich sehe es heute als meine Verantwortung, jungen Menschen zu sagen: „Du kannst das, versuche es!“ Die Erfahrungen, die man dabei macht, sind sehr schön. Die Menschen reagieren ganz überrascht darüber, dass jemand an sie glaubt. Das ist oft ein ganz besonderer Moment.

Wenn Du ab heute die Zukunft von Mainz bestimmen könntest, was würdest Du sofort anpacken?

Puh, gute Frage. Mainz braucht einen Mindshift. Ich würde viel strategischer vorgehen und die Trennung von NGO/Ehrenamt, Verwaltung und Social Business abschaffen. Ich möchte, dass alle gemeinsam an einem Strang ziehen. Als Erstes würde ich in der ganzen Stadt – in NGOs, Schulen, Verwaltung und Unternehmen – Workshops anbieten, die uns beibringen, bei all unseren Entscheidungen menschenzentriert zu denken. Dann geschieht der Rest von ganz alleine: Die ordnungspolitischen Maßnahmen, der Verkehr und eben alles, was unser tägliches Leben ausmacht.

Was sind für Dich die Menschen oder Projekte, die man in Mainz nicht übersehen sollte?

In Mainz bildet sich zurzeit ein Netzwerk der urbanen Szene, das von Judith Drewke gepusht wird. Sie ist die Gründerin von Jas.Slow Fashion. Ich bin auch Teil davon und viele mehr, etwa die Menschen, die gemeinsam z.B. die Mainzer Fashion Revolution Week auf die Beine gestellt haben. Es geht dabei darum, sich bewusst zu werden, in welche Richtung sich Mainz entwickeln möchte. Wir befinden uns derzeit an einer Schwelle und müssen uns überlegen, ob es eher provinziell bleiben oder urbaner werden soll.

Das geht einher mit der Verunsicherung, die aktuell überall herrscht und die eine Rückkehr zum Konservativen mit sich bringt. In diesem neuen Netzwerk von Menschen finden sich Gastronomie, Einzelhandel, DesignerInnen, KünstlerInnen, die ihre Stadt mitentwickeln und größer denken wollen, als sie aktuell ist. Da liegt derzeit ein besonderes Knistern in der Luft, das man im Auge behalten sollte.

Tatiana Muñoz auf reflecta.network

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